Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hat in Österreich Verfassungsrang. Artikel 4 Abs. 2 besagt dabei, dass niemand gezwungen werden darf, Zwangs- und Pflichtarbeit zu verrichten. In Absatz 3 werden die Ausnahmen definiert, wobei eine Arbeit oder Dienstleistung, die zu den üblichen Bürger:innenpflichten gehört, nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit gilt (d). Die Frage stellt sich also, welche Menschen in Österreich als „Bürger:innen“ gelten. Im Gegensatz zu „Einwohner:innen“ besitzen „Bürger:innen“ das sogenannte Bürgerrecht, womit das Recht und die Pflicht zur Teilnahme am politischen Leben eines Gemeinwesens gemeint sind.
Asylwerbende (besser: Asylsuchende, denn sie „bewerben“ sich nicht, sie suchen um ihr Menschenrecht auf Schutz vor Verfolgung an) fallen also per definitionem nicht in diese Ausnahme – auch die drei anderen Ausnahmen können nicht angewandt werden. Die derzeit diskutierte und vom Innenministerium angekündigte Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit, in Vollziehung der Länder, ist somit nicht nur eine humanitäre Perversion, sie steht verfassungsrechtlich gesicherten Grundsätzen gegenüber. Sie wird daher, nach derzeitigem verfassungsrechtlichem Stand, nicht kommen. Die Diskussion kann also als Blendgranate gesehen werden. Das macht sie allerdings nicht weniger gefährlich, insbesondere im derzeitigen politischen Gefüge. Verfassungsrechtliche Grundsätze sind nicht in Stein gemeißelt.
Das Argument „Integration“ wird dabei als Handlungsmaxime genannt. Bedeutet „Integration“, irgendwann Bürger:innenrechte zu haben? Bedeutet „Integration“ das Recht des „Überlebenden“, nach maximaler Erniedrigung während eines Asylverfahrens, psychisch und physisch noch so fit zu sein, um dann endlich als Bürger:in und Mensch anerkannt zu werden? Es lohnt sich, ein genauerer Blick hinter diese rechtspopulistischen und verfassungswidrigen Fantasien zu werfen.
„Asylwerbende“ sind in erster Linie keine „Asylwerbende“, es sind Menschen. Diese Menschen sind keine leeren Gefäße. Es sind Menschen mit einer Geschichte und dem Wunsch, sowie dem Recht, auf ein würdevolles Leben. Es sind Menschen, wie ich einer bin, wie du es bist. Menschen mit Belastungen, Fähigkeiten und Talenten. Doch sie werden reduziert. Die 20 Jahre andauernde Diskussion, die in diesem September erneut Fahrt aufgenommen hat, über eine Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit, behandelt die Menschen nämlich noch nicht mal nur als leere Gefäße. Schlimmer: Sie unterstellt ein grundsätzlich gegensätzliches, feindliches und faules Gemüt. Auffallend dabei auch, dass über diese Menschen, die zur „Gemeinwesenarbeit“ verpflichtet werden sollen, in dieser negativen Tonalität gesprochen wird – nicht jedoch mit ihnen. Das ist nicht gewollt, denn so würden diese Menschen nicht mehr als „faule Asylwerbende“ wahrgenommen und verkauft werden können, sie würden zu Menschen werden. Und einem Menschen können diese Grundrechte nicht so einfach vorenthalten werden, andere Menschen würden lauter aufschreien.
Doch welche Faktoren begünstigen nun diese lauthals geforderte „Integration“ und welche verhindern sie? Menschen im Asylverfahren dürfen bereits jetzt gemeinnützig arbeiten, viele tun das auch. Sie dürfen außerdem selbstständig oder saisonal arbeiten – von ihrem Lohn dürfen sie jedoch maximal 110 Euro behalten. Der Rest wird eingezogen. Für jeden Menschen, der sein Gespür nicht vollends verloren hat, leuchtet wohl ein, dass das wenig motivierend ist. Mehr noch: es führt dazu, dass Menschen abhängig bleiben und wohl auch mit höherer Wahrscheinlichkeit nach positivem Abschluss des Verfahrens auf staatliche Leistung angewiesen sind. Es bedingt also weitere menschenrechtliche Missstände. Ohne Rücklagen und Ressourcen, keine Existenz – manche Dinge sind sehr klar. Die Frage ist also, wer profitiert nun davon, vom geradlinigen Weg abzuweichen, d.h. Menschen bereits im Verfahren ein würdiges und unabhängiges Leben zu ermöglichen, wie es die menschenrechtliche Verpflichtung fordert und beispielsweise durch eine Anhebung der Zuverdienstgrenze und gezieltes Ausbilden von Fachkräften erreicht werden könnten? Sicherlich das rechtspopulistische Spektrum, das in Vorbereitung auf die Nationalratswahlen dadurch einige rauschige „Jawohls“ am Stammtisch einfahren kann, die dann zu Kreuzchen bei der Wahl werden. Doch das Gemeinwesen, wir alle als Bürger:innen, ganz sicher nicht. Wir würden davon profitieren, wenn mehr Geld ins Gemeinwesen investiert werden würde.
Absurd ist diese Diskussion der Arbeitsverpflichtung dahingehend, dass die Mithilfe im eigenen Lebensraum, d.h. in aller Regel im Asylquartier, bereits langjährig umgesetzt wird. Wie sollte sonst das chronisch unterfinanzierte System am Laufen gehalten werden? Bereits jetzt wird Menschen das wöchentliche „Taschengeld“ gestrichen, wenn sie wiederholt den Beitrag verweigern. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, doch es geht bei dieser aktuellen Scheindiskussion um etwas anderes. Die Menschen, über die laut und mit festem vorgefertigten Bild gesprochen wird, sind lediglich Instrument. Auf ihrem Rücken, mit oftmals schweren Rucksäcken beladen, wird politisch gespielt. Vollkommen außer Acht gelassen werden dabei persönliche, menschliche Gründe, die im Kontext eines Asylverfahrens eine Arbeitsaufnahme ohnehin erschweren: Sei es mangelnde Mobilität oder auch fehlende Kinderbetreuung, die ebenso Sprachkursteilnahmen häufig entgegenstehen.
Das heißt also im Klartext: In einer leeren Diskussion auf Kosten der Steuerzahlenden, weil der geforderte Inhalt verfassungswidrig ist und dabei bereits jetzt den Umständen entsprechend umgesetzt wird, werden Wähler:innenstimmen gefangen. Die Frage bleibt, was es Menschen persönlich gibt, andere Menschen so zu entwürdigen? Was bringt es beispielsweise, eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern als faul hinzustellen, wenn die Umstände es faktisch nicht erlauben, eine – ohnehin gewollte – Arbeit aufzunehmen, um sich und den eigenen Kindern eine Existenz aufzubauen? Was macht das mit den Kindern und welche Spaltungen werden dadurch gezüchtet? Was bringt es dem Gemeinwesen, junge Menschen in dieser Abhängigkeit zu halten, statt die Rahmenbedingungen einer Win-Win-Situation zu gestalten? Die Zeit wird zeigen, was das bringt.
Wir bedanken uns als Plattform für Menschenrechte für die Initiative und Einforderung einer Stellungnahme bei einer Bürgerin, die Menschenrechtssinn beweist und diese Diskussion nicht unkommentiert lassen wollte. Denn am Ende wird die Welt – unsere Gesellschaften – nicht an Menschen zugrunde gehen, die faschistisch handeln, sondern an jenen, an uns allen, die es schweigend geschehen lassen. Faschismus hat es immer gegeben, er wird nur stärker, weil wir – die breite menschliche Masse – ihn lassen.
Franziska Kinskofer